Flexibilität im Job
Interstuhl    17.01.2018     19382

Hurra, ich bin mein eigener Chef. Warum tue ich mir das an?

Die einen feiern es als Selbstbestimmung. Die anderen als Selbstausbeutung. Alte, starre Strukturen der Arbeitswelt lösen sich auf, an ihre Stelle treten flexible Formen in Sachen Arbeitszeit, -ort und -organisation. Konnte der Mitarbeiter früher im Job nur wenig selbst entscheiden, wird er zunehmend zum eigenen Chef seiner Tätigkeit. Nicht wenige sehnen sich nach den Zeiten zurück, als 9 to 5 und klare Dienstanweisungen Anlass zum Meckern, aber auch Grund zur Freude gaben. Schließlich heißt Flexibilität im Job vor allem, Verantwortung zu übernehmen und um die hat keiner gebeten.

 

Flexibilisierung als Marketingstrategie für die Rationalisierung?

Ohne die Digitalisierung der Arbeitswelt wären alle Konzepte zur Flexibilisierung unmöglich. Schließlich ermöglichen erst die neuen Techniken, dass ein Mitarbeiter zu jeder Zeit, von jedem Ort und in praktisch jeder Form mit Kunden und Kollegen kollaboriert. Damit geht eben auch einher, dass weder ein fester Büroarbeitsplatz, noch eine feste Arbeitszeit, noch eine Direktive nach Schema F benötigt wird.

Genau darin liegt der Kern des Flexibilisierungsproblems: Unternehmen können enorme Kosten sparen, wenn sie Bürofläche wegrationalisieren und zum Beispiel Shared Desk-Konzepte etablieren. Weil viele Aufgaben nur wenige Klicks entfernt sind, braucht es dafür auch keine eigene Abteilung mehr. Was früher mühsam per Telefon und Fax von einer Beschaffungsabteilung erledigt werden musste, wird heute in der entsprechenden Software vom Mitarbeiter eigenverantwortlich bestellt - und das System rechnet selbstständig das Budget für jeden einzelnen Radiergummi gegen

Mit jedem weiteren Schritt in Richtung Digitalisierung wird die Schere zwischen Chancen und Zwängen der Flexibilisierung größer: Mitarbeiter haben immer bessere Argumente gegen starre Strukturen, müssen dafür aber auch immer vernetzter und eigenverantwortlicher handeln. Unternehmen werden flexibler und offener, rationalisieren aber gleichzeitig Strukturen weg, die sie in der digitalen Welt scheinbar nicht mehr benötigen. Das kann sich genauso gut rächen.

Im Grunde ähnelt das Flexibilisierungsproblem einer Self-Checkout-Kasse: Der Kunde hat das Gefühl, beim Einkauf selbstbestimmter zu sein, obwohl er Aufgaben und Verantwortung übernimmt, die eigentlich dem Kassenpersonal zustünden. Das wird nicht etwa anders eingebunden, sondern wegrationalisiert und fehlt spätestens dann, wenn die Kasse streikt.

Nun wäre die Diskussion über mehr Flexibilität im Job nicht so lebendig, wenn darin nicht auch riesige Möglichkeiten für einen neuen Wert der Arbeit stünden. Schließlich bedeuten weniger Strukturen auch mehr Freiheit für den einzelnen Mitarbeiter. Die Frage ist nur: Wieviel davon will und kann er überhaupt übernehmen?

 

Nicht mehr Freiheiten, sondern andere Freiheiten: So kann Flexibilisierung im Job funktionieren

Gerade eine totale Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort bedeuten Stress für viele Mitarbeiter. Schließlich heißt 'kein fester Dienstbeginn' auch, dass es keinen festen Dienstschluss gibt. Damit droht der Weg in die Selbstausbeutung - auch, weil Kollegen sehr gut darin sind, sich im Spiel 'Wer ist am längsten im Büro' zu übertreffen. Genauso steht es um die Home-Office-Problematik: Wie beweise ich, dass ich etwas leiste, wenn mir keiner dabei zuguckt? Meist lautet der Weg: Ich arbeite einfach immer, um ein (unbegründet) schlechtes Gewissen zu beruhigen.

Genauso beängstigend ist es, wenn der Chef nur noch sagt:' Hier ist dein Projekt. Mach mal.' Was wann wie getan wird, steht plötzlich nicht mehr in Regelbüchern, das Ergebnis ist die einzige Vorgabe. Das mag ein Organisationstalent zum Jubeln bringen, einen 'Roboter-Charakter' wird es zum Kurzschluss führen.

Und genau darin liegt die große Kunst der Flexibilisierung - seitens der Mitarbeiter und der Unternehmen. Sie müssen die Chance einräumen ohne alte Strukturen vollkommen über den Haufen zu werfen. Denn es braucht freiheitsliebende Multitasker mit Überblick genauso wie unermüdliche Ameisen, die eine klar definierte Aufgabe mit exzellenter Präzision erledigen. Und je nach Unternehmen bzw. Branche dominiert der eine oder der andere Typus.

Darum ist es auch nicht die Frage, welche Freiheiten man als Unternehmen anbietet. Die Frage ist vielmehr, für wen man das tut. Und dazu benötigt es sowas wie eine Zielgruppenanalyse nach innen: Wer arbeitet bei uns? Was sind die Aufgaben? Welche Strukturen braucht es für dieses Wer und Was? Und welche nicht?

Dazu gehört natürlich auch, dass sich die jeweiligen Mitarbeiter darüber klar werden, zu welchem Typus sie eigentlich gehören. Und nicht reflexartig 'Ja!' schreien, wenn ein Home-Office-Tag angeboten wird. Oder wenn die Möglichkeit zu Job Sharing oder der Übernahme einer Projektleitung mit hoher Eigenverantwortung im Raum steht.

Das gilt selbst für scheinbar wünschenswertes wie Gleitzeit: Wer seit Jahren immer pünktlich um 8 im Büro ist und pünktlich um 16 Uhr geht, muss doch nicht plötzlich erst um 11 kommen und bis 19 Uhr bleiben, nur weil es dazu jetzt die Möglichkeit gibt. Solange sich durch eine Flexibilisierung weder die Qualität der Arbeit, noch die Qualität des Lebens verbessert, gibt es keinen Grund, sie zu nutzen. Darin steckt die größte Chance der Flexibilisierung: Sie wird geboten. Doch sie ist kein Zwang. Für niemanden.


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